Ausserhalb der großstädtischen Rushhour ist das Elektrorad deutlich langsamer als das Auto. Daraus ergibt sich ein anderes Zeitgefühl, das ich hier einmal beschreiben möchte. Am 14. Oktober klingelt mein Wecker um 6:00 morgens, 30 Minuten früher als an einem Regentag, an dem ich das Auto nehmen würde. Jetzt heisst es keine Zeit verlieren. An einem Regentag würde ich mir 1,5 Stunden Zeit lassen, gegen 8:00 das Haus verlassen und könnte den Arbeitsweg von rund 40 Kilometern auf Bundesstrasse und Autobahn locker vor 9:00 zurücklegen.
So spute ich mich, bin schon kurz nach 7:00 am Rad, um den vollgeladenen Akku anzubringen (der enthält 1/2 KWh, also für gut 10 cent Strom), die Satteltasche, den Bordcomputer. Dort ist gewohnheitsmässig maximale Unterstützung („Turbo“) eingestellt. Unter 25 Km/h geizt der Motor also nicht mit seinen 250 Watt. Um 7:10 geht es los, zum Glück hat die Morgendämmerung schon eingesetzt.
Bis Immenbek geht es auf wenig befahrenen Straßen. Gute Gelegenheit für einen Sprint zum Warmwerden. Einer von ungezählten Vorteile eines Pedelec: Nachdem man sich verausgabt hat kann man sich auf die 25 Km/h zurückfallen lassen, wo der Motor wieder mitzieht. Da hat man ohne viel Kraftaufwand einen sehr angenehmen Fahrtwind. Man kann ein Pedelec also durchaus sportlich fahren, ohne unangenehm in Schweiß zu geraten.
Problem Schweiss? Gelöst!
Im Sommer kann auf konventionellem Rad Schweiss ein echtes Problem sein – egal mit welcher Geschwindigkeit man unterwegs ist, reicht der Fahrtwind dann nicht aus, um für Kühlung zu sorgen. Auf dem Pedelec ist mir das noch nie passiert.
Hinter Immenbeck beginnt eine Schotterpiste, auf der ich die gefederte Gabel zu schätzen weiss. Vorbei geht es am Wertstoffhof in Ardestorf und an Ketzendorf. Bis Elstorf führt ein Radweg parallel zur B3. Dort stellt sich die Frage: Auf der viel befahrenen Straße fahren – was sich nicht angemessen anfühlt. Was auf meine Kosten gehen könnte. Oder auf dem für Radler freigegebenen Fußweg – was sich ebenfalls nicht angemessen anfühlt. Warum ist hier kein Radweg? Ich verlasse die B3, komme durch Schwiederstorf und erreiche um 7:36 den Sandscherbenweg, einen für den Autoverkehr gesperrten Weg, dessen Belag deutlich besser ist, als sein Name ankündigt.
Ein schöner Weg, und eine prima Abkürzung auf dem Weg zur Rosengartenstraße, die ich um 7:40 erreiche, also nach einer halben Stunde Fahrtzeit. Mit dem Auto wäre ich nach 30 Minuten schon fast am Ziel, und hätte dabei 2-3 Liter Sprit verfahren. So hat sich gerade das erste von fünf Kästchen auf der Batterieanzeige verabschiedet. Ich habe also bisher für 2 Cent Strom verfahren.
Die Schönheit der Rosengartenstraße kommt in diesem goldenen Oktober wunderbar zur Geltung. Und sie ist auch in anderer Hinsicht ein Höhepunkt dieser Fahrt – der Motor zieht auf dem Weg nach oben kräftig mit. Dann geht es bergab nach Sieversen, Auf der abschüssigen Strecke erreicht die Geschwindigkeit ihren Höhepunkt. Wenn ich ordentlich in die Pedale trete sind hier Geschwindigkeiten jenseits von 50 Km/h drin. Die gut dimensionierten Scheibenbremsen, der stabile Rahmen und der breite Lenker haben mir auch bei Tempo 60 noch ein sicheres Gefühl gegeben. Aber so eilig habe ich es jetzt nicht.
Problem Berge? Gelöst!
Steigungen bremsen das konventionelle Rad aus. Doch auf dem Pedelec können sie sogar helfen, die Durchschnittsgeschwindigkeit anzuheben. Denn beim Anstieg begrenzt die Drosselung die Geschwindigkeit – weitgehend unabhängig von der Steigung. Je steiler, desto mehr Energie wird aus dem Motor abgerufen und in Form von potentieller Energie gespeichert. Diese gespeicherte Energie wird dann im Abstieg ungedrosselt frei.
Um 7:54 biege ich ab auf einen landwirtschaftlichen Weg Richtung Nenndorf. Für Fahrräder einschließlich Pedelecs ist der freigegeben – nicht aber für Mofas und S-Pedelecs, also Elektrofahrräder, die erst bei 45 Km/h abgeregelt werden. Das Landschaftsschutzgebiet Klecker Wald, dass ich hinter Neu Eckel durchfahre wäre für ein S-Pedelec ebenfalls tabu. Deshalb habe ich mich gegen ein S-Pedelec entschieden. Der Klecker Wald liegt rund 100 Meter über dem Meeresspiegel. Egal, wieviel SUV Herbert Diess noch verticken will – dieser Höhenzug würde selbst dann noch aus dem Wasser ragen, sollte der Südpol komplett abschmelzen. Jetzt geht es erstmal mit Schwung runter nach Bendestorf. Dort fehlt es wieder an Radwegen. Auf dem Fußweg erneut das unwohle Gefühl. Aber Fußgänger begegnen mir genauso wenig wie andere Fahrradfahrer. Menschen sind hier nur im Auto unterwegs.
Besonders viele Autos fahren auf der Jesteburger Chaussee. Doch ich kann diese unbeschadet überqueren und gelange zur übelsten Schotterpiste meines Arbeitsweges. Auf die ein mit Rindenmulch ausgelegter Weg folgt, der an der Seeve entlang und über diese hinweg führt. Auf einen kurzen Feldweg folgt dann wieder ein asphaltierter landwirtschaftlicher Weg. Warum geniessen Radler so viel Abwechslung, während die Autofahrer auf 13.000 KM Autobahnnetz mit gleichförmigem Beton gelangweilt werden?
In Marxen erwartet mich ein weiteres Highlight – ich kann einbiegen auf den Bahndamm der ehemaligen Wittenberge-Buchholzer Zweigbahn, jetzt Velo-Route von Lüneburg nach Buchholz/Nordheide. Doch kann diese Buckelpiste tatsächlich zu einer brandneuen Velo-Route gehören? Nach 700 Metern ist die Illusion dahin. Nur ein kurzer Teil der alten Trasse wird hier als Fußweg genutzt. Mit dem Projekt Veloroute Buchholzer Bahn hat das nichts zu tun. Das hält beispielsweise die Landeszeitung für so gut wie beerdigt: Aus für die Velo-Route droht. Doch der ADFC hat die Idee noch nicht aufgegeben. Der ADFC Kreisverband Harburg e.V. hat deshalb im Oktober 2019 die Arbeitsgemeinschaft „Buchholzer Bahn“ ins Leben gerufen.
Warum sollte man 100.000€ in die Planung eines Radfernweges stecken, wenn man für das gleiche Geld auch 20 Meter Autobahn bauen kann? Und mit der Planung wäre es ja nicht getan, der Bau des Radfernweges hätte ja vielleicht noch einmal 100 Meter Autobahn gekostet. Die reinen Baukosten von Autobahnen liegen in Deutschland bei 4-6 Millionen Euro pro Kilometer. Logisch, dass da kaum Geld für Fahrradwege übrig bleibt.
Um 8:50 erreiche ich dann meinen Arbeitsplatz in Brackel. Und bin froh, dass ich dort meinen Akku nachladen darf. Denn sonst müsste ich auf dem Rückweg auf motorische Unterstützung weitgehend verzichten. Rund 2/3 des Akkus habe ich verfahren. Also rund 1/3 einer Kilowattstunde. Für rund 7 Cent Strom.
Fazit
Ich bin sehr zufrieden mit dem Pedelec. Ich habe während der vergangenen 17 Monate rund 5500 KM damit zurückgelegt – überwiegend auf dem Weg zur Arbeit.
In Sachen Reichweite und Kosten ist ein Pedelec attraktiv. Elektromobilität auf Basis von Pedelecs skaliert auch vernünftig. Es könnten viel mehr Radler auf den vorhandenen Wegen unterwegs sein, ohne dass dies zu Staus führen würde. Es könnten massenhaft zusätzliche Pedelecs am vorhandenen Stromnetz geladen werden, ohne dass dies zu einer Überlastung des Stromnetzes führen würde.
Meine Kleidung ist noch nicht für alle Wetterbedingungen geeignet. Diesen Beitrag schreibe ich am Ende einer Regenwoche zusammen, in der ich Wegen des Regens keinen Tag im Sattel saß.
Pendeln per Pedelec kostet viel Zeit – gibt aber auch viel Zeit zum nachdenken. Zum Beispiel um über eine verfehlte Politik nachzudenken, die ihr möglichstes tut, den Autoverkehr zu fördern und andere Arten der Mobilität zu vernachlässigen.
Der politische Wille ist jedenfalls offenkundig, mit Kaufprämien von bis zu 6000€ immer mehr Neuwagen auf die Straße zu bringen. Obwohl Elektromobilität per PKW offensichtlich sehr schlecht skaliert. In erster Linie sind Elektroautos Autos. Sie weisen nicht nur die schlechte Ökobilanz von Autos auf. Sie benötigen auch genauso viel Platz wie konventionelle Autos, und stauen sich genauso.
Doch Elektroautos bedingen neben den irrwitzigen Kosten für das Autobahnnetz zusätzlich noch aberwitzige Kosten für den Ausbau eines Stromnetzes, das zwar bestens geeignet wäre Pedelecs zu laden – das aber nicht für Massen von Elektroautos ausgelegt ist.