Schwächen in von der Leyens Doktorarbeit

Jenseits der hinreichend diskutierten Plagiate fallen bei dieser Arbeit einige objektive Schwächen ins Auge.

Anbei folgt eine Auflistung von Unstimmigkeiten, die mir beim Querlesen dieser Doktorarbeit auffielen. Sie sind von vorne nach hinten sortiert. Seitenzahlen gebe ich nicht an, da überwiegend nicht nummerierte Seiten betroffen sind. Auch wenn ich punktuell in die Tiefe gegangen bin, habe ich keineswegs den ganzen Text auf Herz und Nieren überprüft. Ich werde morgen das mir vorliegende vierte Exemplar dieser Arbeit zur Bibliothek der Medizinischen Hochschule Hannover zurückschicken. Wenn Sie neugierig geworden sind – schnappen sie es sich! Die Fernleihe ist gar nicht so kompliziert! Es sind sicherlich noch viele Unstimmigkeiten in dieser Arbeit zu entdecken!

Sysndrom

Im Titel ist der Autorin bereits der erste Rechtschreibfehler unterlaufen. Die blaue Figur steht direkt vor dem überflüssigen S.

Füllstoff mit viel Weißraum und wenig Inhalt

Zwischen den nummerierten Seiten sind einige unnummerierte Seiten mit Bildern eingestreut. Zwischen den Seiten 1 und 2 ist ein Bild mit der Bildunterschrift „Liebesgarten und Badefreuden“ eingefügt. Ort und zeitlicher Kontext des abgebildeten Inhalts sind nicht erklärt. Ort und zeitlicher Kontext der Entstehung und Veröffentlichung des Bildes sind ebenfalls unklar. Stammt es aus einem alten medizinischen Fachbuch oder aus einem pornographischen Werk? Handelt es sich ursprünglich um Druckgraphik oder um ein Einzelstück? Wo ist die abgebildete Szene zu verorten? In Asien, Europa, Afrika? Auch woher die Zuschreibung „Liebesgarten und Badefreuden“ stammt, bleibt offen. Da im linken Bereich ein im wesentlichen pflanzenfreier Innenhof zu erkennen ist, könnte man diesem Bild folgende Bedeutung entnehmen: „Irgendwann, irgendwo auf dem Planeten Erde gab es eine Kultur, die einen pflanzenfreien Innenhof als Liebesgarten betrachtet hat“. Vermutlich wollte die Autorin wohl belegen, dass auch nach dem Ende des römischen Reichs in Europa öffentliche Bäder vorkamen. Mir scheint es unbefriedigend, die gemeinte Bedeutung erraten zu müssen. Bereits aus diesem Grunde betrachte ich diese Seite als objektive Schwäche.

Ursula von der Leyen hat nur eine einzige verifizierbare Aussage zu diesem Bild getroffen, und zwar die dürre Angabe: „Staatsbibliothek Berlin. Bildarchiv“ Der Zweck dieser Angabe kann in dem Kontext wohl nur sein, auf das Original zu verweisen.

Wahre Quelle des Füllstoffs

Die Staatsbibliothek Berlin war so freundlich, bei der Überprüfung der Quellenangabe zu helfen. Ergebnis: Das Original war anscheinend niemals in der Staatsbibliothek Berlin. Dort nimmt man als Quelle das Mittelalterliche Hausbuch von Schloss Wolfegg an, also ein illustriertes handschriftliches Kompendium. Damit handelt es sich bei dem Bild nicht um eine Druckgraphik, sondern um ein Einzelstück, dessen Besitzgeschichte und Verbleib laut Wikipedia extrem übersichtlich ist: Seit dem 17. Jahrhundert in Schloss Wolfegg. Wikimedia verfügt über folgende digitale Reproduktion:

Doppelseite fol. 18v–19r (Badehaus)

Offenbar nutzte von der Leyen dieses Bild zu rein dekorativen Zwecken. Sie belegte damit nicht die im Abschnitt „historischer Exkurs“ getroffenen Aussagen. Dabei wäre das Bild sogar (zufällig?) als Beleg geeignet gewesen. Denn es stammte ja tatsächlich nicht aus einem auf alt getrimmten pornographischen Druckwerk des 20. Jahrhunderts. Sondern es war tatsächlich alt. Hätte von der Leyen sich die Mühe gemacht, das Original zu recherchieren, hätte sie eine sinnvolle zeitliche Einordnung für das Bild machen können.

Von welcher Kopie von der Leyen kopiert hat wird sich wohl nie klären lassen. Eine von der Staatsbibliothek Berlin genannte Möglichkeit wäre die Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Bd. 1: Renaissance, von Eduard Fuchs aus dem Jahre 1909.

Bewertung des Füllstoffs

Korrektes Benennen von Quellen gehört nicht zu von der Leyens Superkräften, das ist keine Überraschung. Die Besonderheit bei diesem Füllstoff ist die Beliebigkeit, die Unwissenschaftlichkeit, mit der von der Leyen die Seiten ihrer Arbeit füllte.

Rechtliche Anmerkung zum Füllstoff

Frau von der Leyen hätte klar sein müssen, dass sie fremdes Bildmaterial nicht einfach zu dekorativen Zwecken zusammenstoppeln durfte. Doch sie hatte Glück: obwohl sie anscheinend jede Grenze des Zitatrechts überschritten hatte, waren die Urheberrechte am Original sicherlich erloschen. Nicht das Zitatrecht erlaubte ihr die Übernahme des Bildes, sondern dessen Gemeinfreiheit.

Unstimmigkeiten im historischen Exkurs

Von der Leyen schreibt auf Seite 2 „In Antike und Mittelalter spielte das Bad eine wesentliche Rolle: als die christliche Kultur die antik-heidnische ablöste, stand das Badewesen im weiten römischen Weltreich auf der Höhe seiner gesellschaftlichen Geltung.“ Zweifelsfrei spielte das Bad in der Antike eine wesentliche Rolle. Im Mittelalter jedoch nicht. Was die Autorin weiterhin mit „die christliche Kultur“ bezeichnet, bleibt ihr Geheimnis. Ich halte es für erwiesen, dass die Verfolgung der Christen im römischen Reich im Jahr 313 mit der Mailänder Vereinbarung im wesentlichen endete. Im Jahr 380 wurde das Christentum nach meinem Verständnis im römischen Reich Staatsreligion. Von einer „christlichen Kultur“ im Gegensatz zur „römischen Kultur“ zu sprechen erscheint mir für diese weit zurückliegende Zeit höchst abenteuerlich. Die Christen steuerten zur römischen Kultur nach meinem Verständnis lediglich ihre Religion bei. Der pejorative Begriff „heidnisch“ scheint mir in einer wissenschaftlichen Arbeit zudem höchst fragwürdig.

Auf Seite 2f. ist zu lesen: „Zunächst wurde das Bad von der Kirche als Mittel zur Sauberkeit und Förderung der Gesundheit unbedenklich übernommen. Aber schon bald machten sich wegen der Rolle, die die Bäder in der Spätantike als Vergnügungsetablissements spielten, Bedenken bemerkbar. Der Kirchenlehrer CLEMENS VON ALEXANDRIEN (gestorben nach 211n. Chr.) sagte, daß die Christin ‚zum Vergnügen‘ kein Bad nehmen sollte.“ Dieser Satz liest sich so, als ob zuerst die Institution Kirche die Bühne der Geschichte betrat, danach die Spätantike und als drittes Clemens von Alexandrien. Die tatsächliche Abfolge war jedoch genau umgekehrt.

Offensichtlich hat die Autorin ungeheure Probleme damit, sich sowohl als Wissenschaftlerin als auch als Christin zu positionieren. In dem Bestreben, die organisierte christliche Kirche nicht in einem zu schlechten Licht dastehen zu lassen, riskiert sie anscheinend sachliche Fehler in ihrer Arbeit.

Der Beitrag Ursula von der Leyen und die religiösen Fanatiker auf heise.de mag helfen, den Hintergrund ihres Dilemmas zu beleuchten.

Unklarer Begriff Gravidität

Im Abschnitt 5.0. werden dem Begriff Gravidität (üblicherweise: Schwangerschaft), Zahlen größer als 1 zugeordnet.

Das erscheint mir als medizinischem Laien zumindest ungewöhnlich. Mit boolescher Algebra und den Werten 0 und 1 lassen sich recht gut die beiden Zustände „nicht schwanger“ und „schwanger“ unterscheiden. Die Zustände „zwei schwanger“ oder „drei schwanger“ gibt es nicht. Deshalb verblüffen diese Zahlen größer als 1.

Medizinische Laien mögen Schwangerschaften für trivial abzählbar halten

Falls von der Leyen die Auffassung vertritt, die Anzahl der Schwangerschaften im Leben ihrer Probandinnen ermittelt zu haben, so wäre das für sich genommen eine grosse Leistung. Denn man muss nicht in Medizin promovieren, um zu wissen, das der Weg von einer Schwangerschaft zur Kenntnis einer Schwangerschaft nicht trivial ist.

Doch wenn von der Leyen einen praktikablen, wissenschaftlichen Weg zur Ermittlung der Anzahl der Schwangerschaften im Leben ihrer Probandinnen gefunden hätte, würde sie vermutlich darüber geschrieben haben.

Dem Leser bleibt nur zu mutmassen. Hat von der Leyen „Graviditäten“ und „Geburten“ verwechselt? Nein, das würde nicht zu den angegebenen Werten passen. Hat von der Leyen „Graviditäten“ und „bewußt erlebte Schwangerschaften“ vertauscht? Das würde besser zu den angegebenen Werten passen. Denn diese sind auffällig niedrig. Als ob Phänomene wie der Frühabort nicht existieren würden.

Ist es in medizinischen Fachtexten üblich, wohldefinierte wissenschaftliche Begriffe sorglos zu verwenden? Im Vertrauen darauf, dass der Fachkollege Schlamperei mit den Begriffen gewohnt ist und das Gemeinte schon erraten wird?

Es wäre spannend zu erfahren, welche Mathematik hier auf Schwangerschaften angewendet wurde. Leider schweigt die Autorin sich hierzu komplett aus. Gravidität wird von ihr im Sinne einer quantitativ bestimmbaren Eigenschaft verwendet, deren Bedeutung nicht deutlich wird.

Wiederholungen in Diagrammen des Abschnitt 5.1.

Abb. 7 stellt den Proteingehalt im Serum der Mutter für drei Gruppen jeweils vor und nach der Geburt gegenüber. Die Darstellung macht soweit Sinn. Die sechs Datenpunkte in einem Diagramm darzustellen führt sicherlich nicht zu einer Reizüberflutung beim Leser. Die zusätzlich eingezeichneten Standardabweichungen sind ebenfalls zumutbar. Abb. 7 scheint also auf den ersten Blick vollkommen in Ordnung. Skurril ist jedoch, dass die gleichen Daten zuvor bereits in den Abbildungen 5 und 6 präsentiert wurden. Das wirkt so, als hätte die Autorin die Abb. 7 mehrfach dupliziert und aus den Duplikaten jeweils die Hälfte der Datenpunkte gelöscht. Mag sein, dass sie eine Überforderung beim Leser vermeiden wollte. Und das es ihr nicht um eine Streckung des mageren Inhalts um weitere zwei Seiten ging. Der Effekt ist jedenfalls höchst bizarr.

Abb. 8 (ich spare mir deren Wiedergabe) entspricht in der Menge der gezeigten Daten der Abb.7 und erscheint damit angemessen. Die Abbildung zeigt sechs Datenpunkte zum Proteingehalt in der Nabelschnur. Diese Daten hätte die Autorin wiederum auf drei Diagramme auswalzen können. Hat sie aber nicht. Das spricht dafür, dass wir hier Zeuge eines Lernprozesses sind. Die Autorin merkte, dass drei Datenpunkte zu wenig für ein Diagramm sind, weshalb sie in Abb. 7 und 8 die Anzahl Datenpunkte pro Diagramm erhöhte. Doch zu dem folgerichtigen Schritt, die Abbildungen 5 & 6 zu löschen konnte sie sich offenbar nicht entschliessen.

Falschangaben im Lebenslauf

Dem in ihrer Doktorarbeit abgedruckten Lebenslauf zur Folge hat Ursula von der Leyen im Zeitraum 1976-1980 Volkswirtschaft studiert. Die blaue Figur im Bild steht direkt vor der anscheinend wahrheitswidrigen Angabe.

Der Leser bekommt den Eindruck, dass von der Leyen fünf Jahre VWL studiert haben könnte, also ausreichend lange, um dieses Studium erfolgreich abzuschliessen. Von der Leyen verweist auf das abgebrochene VWL-Studium und das erfolgreich abgeschlossene Medizinstudium mit der gleichen Wortwahl. Durch den Fehler bei den Zeitangaben und diese mißverständliche Wortwahl kann der Leser zu der Fehlvorstellung irregeführt werden, dass von der Leyen über zwei Studienabschlüsse verfügt. Die Unstimmigkeit bei der Jahreszahl kann selbstverständlich auf einen Flüchtigkeitsfehler zurückgehen. Aber wie plausibel ist es, dass von der Leyen versehentlich ein abgebrochenes Studium gleichwertig dargestellt hat zu einem erfolgreich abgeschlossenem Studium?

Tatsächlicher Beginn des VWL-Studiums

Unter der Annahme, dass ihre aktuell (d.h. im August 2017 beispielsweise hier von ihr persönlich) veröffentlichten Lebensdaten korrekt sind, hat Ursula von der Leyen im Zeitraum 1977-1980 Volkswirtschaft studiert. Sie gibt zwar nur auf Nachfrage zu, dass sie das Studium der VWL abbrach (zum Beispiel hier im Interview mit dem Stern, oder hier im Interview mit der Süddeutschen.) Doch dieser Umstand lässt sich auch aus den Jahreszahlen ablesen. Der aktuell von ihr angegebene Zeitraum wäre schlicht zu kurz für ein abgeschlossenes Studium der VWL.

Die Universität Göttingen verweist auf die ehemalige Studentin hier, ebenfalls mit der Jahreszahl 1977 für deren Studienbeginn. Die Seite ist nicht mehr aktuell, und die Server der Uni Göttingen zeichnen sich anscheinend nicht durch gute Verfügbarkeit aus. Wenn der Link gerade einmal nicht funktionieren sollte: Der Inhalt ist auchhier über das Internet-Archiv verfügbar. Die Universität Göttingen nennt ihre berühmte Studentin übrigens in einem Atemzug mit Nobelpreisträgern auf der Seite Über 40 Nobelpreisträger.

Sofern die Server der Universität Göttingen auch bei Ihnen zögern, die Inhalte zu ihrer berühmten Studentin preiszugeben, hilft Ihnen hoffentlich diese Suche: Google(site:uni-goettingen.de von der leyen).

(Anmerkung vom Oktober 2018: Die ursprünglich in diesem Betrag direkt verlinkte Selbstdarstellung von der Leyens datiert den Beginn ihres VWL-Studiums mittlerweile auf 1976. Dies führt jedoch nicht zu einer schlüssigen Klärung aller Widersprüche. Die Annahme, dass sich unter Mitwirkung von der Leyens deren tatsächlicher Lebenslauf leicht klären lassen würde hat sich leider bisher nicht bewahrheitet. Aktuellere Beiträge zu diesen Widersprüchen: von der Leyens obskurer Lebenslauf und der Tag, an dem Ursula von der Leyen über ihr Archäologiestudium sprach)

Zu guter Letzt

Auf der letzten Seite ist der Titel der Arbeit wiederholt – ohne den Rechtschreibfehler. Die blaue Figur im Bild markiert das hier fehlerfrei geschriebene Syndrom.

Copy & paste gehörte nicht zu Superkräften von der Leyens

Die Autorin war mit copy und Paste anscheinend weniger vertraut als vielfach unterstellt. Exkurs für die später Geborenen: Mehrfaches Eintippen identischer Sätze gehörte ins Zeitalter der Schreibmaschine. Von der Leyens Arbeit sieht nicht aus wie auf der Schreibmaschine getippt. Im Jahr 1990 gehörte bei Textverarbeitungen auf Computern Kopieren und Einfügen von Text zum Stand der Technik. Wer sich mit dem Computer auskannte tippte lange, schwierige Sätze wie den fremdwortbefrachteten Titel dieser Doktorarbeit nicht mehrfach ein.

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