Ermächtigungsgesetz 2.0

Wie soll die Gewaltenteilung funktionieren, wenn die Exekutive einem mißliebigen Richter jederzeit einen Kinderporno auf den privaten Rechner hochladen kann? Wie soll Opposition möglich sein, wenn die Exekutive jeden mißliebigen Abgeordneten auf die gleiche Art ausschalten kann?

Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung beruht nicht auf dem frommen Wunsch, dass der Innenminister und seine Leute sich schon an die Gesetze halten werden. Sie beruht darauf, dass die Exekutive kontrolliert wird. Dadurch sind ihr Grenzen gesetzt. Und sie beruht auf einer Zivilgesellschaft, die der Staatsgewalt nicht ohnmächtig gegenübersteht. Und diese Machtbalance gibt unser Parlament jetzt auf mit dem „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ . Schauen Sie sich Seite 15 der Beschlussfassung genau an, und sie werden sich in der Eisenbahn nie wieder neben einen Ausländer setzen wollen. Denn sobald Sie auch nur verdächtigt werden, den Versuch zu machen, Ausländer nach § 96 Absatz 2 Aufenthaltsgesetz einzuschleusen, können Sie fortan Ihre Privatsphäre vergessen. Auch rückwirkend. Also falls Sie irgendwann einmal neben einem Ausländer gesessen haben und deshalb aktuell verdächtigt werden, dass sie damals den Versuch gemacht haben, diesen Ausländer einzuschleusen, dann greift dieses Ermächtigungsgesetz 2.0

Vielleicht reicht es für einen Verdacht aber auch, wenn sich Ihr Handy in der gleichen Funkzelle befand (das heisst am gleichen Mobilfunk-Sendemast eingebucht war) wie der besagte Ausländer. Halten Sie also lieber zu viel Abstand als zu wenig.

Wenn jeder Furz von Staats wegen mitgeschnitten werden kann wird jeder erpressbar. Da muß man gar nicht den Faschismus heranziehen. Da reicht schon J. Edgar Hoovers abschreckendes Beispiel. Hoover war 48 Jahre lang FBI-Chef und hat systematisch Gesetze gebrochen, um US-amerikanische Politiker inklusive der gewählten Präsidenten der USA zu erpressen.

Das Ermächtigungsgesetz 2.0 gibt vor, dass es „nur“ um das Auslesen kompletter Telefone und Computer gehen soll. Um dieses Auslesen zu ermöglichen wird es allerdings auch einen Schreibzugriff geben.

Übermächtiger Staat vs. ohnmächtiger Bürger war nie eine gute Idee. Schon vor Erfindung von Massenvernichtungswaffen, Gaskammern, Maschinengewehren oder überhaupt dem Schießpulver nicht. Selbst als die Menschen noch mit Schwertern aufeinander losgingen, führte Übermacht zu Machtmißbrauch. Nicht erst seit dem Triumvirat von Octavian, Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus, deren Staatsterror vor allem dem Gelderwerb diente. Sondern seit dem Anbeginn menschlicher Kultur.

An der Lösung dieses Problems wurde seit der Aufklärung so ausdauernd und so erfolgreich getüftelt. Und jetzt wollen unsere Politiker die beste Verfassung, die wir Deutschen jemals hatten, einfach in den Dreck werfen.

Artikel 2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Wie soll diese freie Entfaltung denn funktionieren, wenn jeder Bürger befürchten muss, dass er jederzeit überwacht werden kann? Wie soll sich ein Bürger unter dieser Vorraussetzung in den eigenen vier Wänden ungezwungen verhalten? Soll er sich immer hübsch zurecht machen, bevor er Handy oder Computer zur Hand nimmt? Um eine gute Figur zu machen für den Fall, dass gerade ein Staatsdiener ein Erpressungsvideo mit ihm in der Hauptrolle zusammenschneiden will? Wie soll er Dinge tun, über die die meisten Menschen nicht oder ungern sprechen würden? Soll er deshalb auf sexuelle Praktiken verzichten, die dem Mainstream möglicherweise mißfallen könnten? Oder soll der Bürger, wenn die Lust am größten ist, daran denken, dass das Handy in eine Metallbox reinmuß, für Funkwellen undurchlässig?

Artikel 5 (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt

Wie soll diese freie Meinungsäußerung denn funktionieren, wenn jeder Bürger befürchten muss, dass er jederzeit von Staats wegen bloßgestellt werden kann? Das große Vorbild USA hat es vorgemacht: William Scott Ritter Jr. entlarvte mit seinem Buch „Krieg gegen den Irak“ George W. Bushs Überfall auf den Irak als sinnloses Verbrechen. In der Folge haben die USA eine erwachsene Frau dafür bezahlt, mit Ritter Online-Sex zu haben. Keine professionelle Prostituierte, sondern eine Polizistin, die sicherlich davon überzeugt war, ihrem Vaterland mit diesem Akt der Prostitution einen Dienst zu erweisen. Online-Sex mit einer Polizistin war auch in den USA nicht illegal. Gut für Ritters Ruf war er trotzdem nicht. Anstatt die Verbrechen des George W. Bush zu verfolgen, ruinierten die USA seitdem nicht nur Ritters Ruf, sondern auch sein Leben.

Wollen wir diesem Modell wirklich folgen? Damit auch deutsche Politiker in Zukunft wieder völkerechtswidrige Angriffskriege führen können? Damit sie die Zivilgesellschaft komplett abschalten können?

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