Mein Jahr als Massenmörder

Ich habe die 15 Monate meines Militärdienstes überwiegend an, mit und auf einem deutschen Atomraketenwerfer verbracht. Ich habe dabei geübt, die Atombombe aus einem Container auszupacken, mit dem Raketenantrieb zu verschrauben, und die Rakete hochzukurbeln (Knochenarbeit) und sie auszurichten. Allein das Abschiessen der Atomraketen Typ Lance (insbesondere das Drücken des entscheidenen Knopfes) sollten nicht die Mannschaftsdienstgrade übernehmen. Das sollten im Regelfall US-amerikanische Soldaten übernehmen. Aber auch mein direkter Vorgesetzter, ein deutscher Unteroffizier, war dazu ausgebildet, im Ernstfall persönlich auf den Knopf zu drücken.

Mit einer echten Atombombe haben wir zum Glück nicht hantiert, sondern mit einer Attrappe. Den US-Amerikanern sind auch so genug Atombomben runtergefallen (Quelle: welt.de) und abhanden gekommen (Quelle: spiegel.de) Und da es seinerzeit noch keine Handys gab, verfüge ich weder über Fotos vom Raketenwerfer, noch von der Raketenattrappe. Deshalb hier ein Foto von einem Modell.

Der Titel spielt an auf das großartige Buch Mein Jahr als Mörder von Friedrich Christian Delius. Das Buch lohnt den Kauf! Kostenlos lesen können Sie dagegen meine eigene Kurzgeschichte Trink Deinen Kaffee 20137. Ich habe sie während des Militärdienstes geschrieben.

Hier wie dort blieb das im Titel angekündigte Verbrechen eine Fiktion. Glückliche Umstände sorgten in beiden Fällen dafür, dass wir jeweils nicht zum Mörder wurden. Ich hatte das Glück, dass in meine Dienstzeit nicht der Beginn des dritten Weltkriegs, sondern das Ende des kalten Krieges fiel. Sonst wäre ich möglicher Weise zum Massenmörder geworden. Ich denke nicht, das ich einem Unteroffizier den Gehorsam verweigert hätte, wenn der seine Dienstpistole auf mich gerichtet hätte. Dieses Szenario ist jedoch spekulativ.

Fakt ist jedoch, dass mir in der Ausbildung beigebracht wurde, dass Unteroffiziere dazu ausgebildet waren, im Ernstfall Ihre Untergebenen bei Ungehorsam ggf. mit der Pistole zu erschiessen.

Ich sehe eine deutliche Parallele zu den Grenzsoldaten der ehemaligen DDR. Die meisten von Ihnen hatten das Glück, dass sie nicht in die Situation kann, zu Mördern zu werden.

Meine Wertung „Mord“ bzw. „Verbrechen“ für den Abschuss einer Atomrakete ist nach aktueller Rechtslage übrigens nicht abwegig oder extrem. Sie ist aber auch nicht gesichert. Die Richter des Internationalen Gerichtshofs in Le Hague haben sich in Ihrer Bewertung von 1996 nicht einstimmig festgelegt.

So sahen übrigens die potentiellen Massenmörder aus, die in Idar-Oberstein gemeinsam mit mir die Ausbildung am Atomraketenwerfer antraten:

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